Mittwoch, 7. September 2011

Was sind Minuteros?

Drei Sekunden

„In einer Minute fertig!“ – heißt es in dieser Berufsgruppe und so entstand auch die Bezeichnung für die sogenannten „Minuteros“ – Fotografen, die an Sehenswürdigkeiten  mit Old-School-Kameras Fotos von Menschen schießen und diese sofort entwickeln. Vor dem Capitol in Havanna stehen seit Jahrzehnten Minuteros und lichten Einheimische und Touristen ab. Die Ausstellung „Gesichter eines Mythos“ zeigt eine Auswahl dieser beeindruckenden Bilder, die auf ganz eigene Weise Kubas Geschichte erzählen – und mehr

Wie lange dauern drei Sekunden? Zählen Sie mal. 1…2…3… Ganz schön lange, oder? Können Sie so lange still halten? Für ein Porträt von einem kubanischen Minutero müssen Sie sich diese Zeit schon nehmen. Denn so lange dauert die Belichtung.
Vor dem Capitol in Havanna stehen die Minuteros seit Jahrzehnten. Wann genau sie angefangen haben, weiß wohl keiner. Die Kameras: Holzkisten, die an die Anfänge der Fotografie erinnern. Auch wie viele Bilder hier geschossen wurden – von strahlenden Paaren, von besten Freunden und von Touristen auf Kuba-Reise – ist ungewiss.
Normalerweise schmeißen die Minuteros sie einfach weg, die Negative. Denn wer sich fotografieren lässt, der kommt normalerweise nicht wieder. Er nimmt sein Bild und geht seiner Wege. Seine Minute ist vorbei. Adios.

Und doch. Einige Negative waren wie durch ein Wunder noch da, als der Hamburger Cornelius Groenewold auf die Minuteros vor dem Capitol stieß. Er kaufte sie zu einem fairen Preis, „aus reiner Intuition“. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, was für einen Schatz er da gehoben hatte. Da Groenewold aber einen Hang zum Archivieren hat, sortierte er sie, scannte sie und legte sie ordentlich ab. Dann geschah jahrelang erst einmal gar nichts… bis er sich wieder an sie erinnerte. Er kramte sie hervor und plötzlich begriff er die Magie dieser Bilder. Dass die Fotos die Alltags-Geschichte und die Abgeschiedenheit Kubas auf eine sehr besondere Weise dokumentieren. Frisuren, Jeans, T-Shirt-Aufdruck. Gesten. Familien, Brüder, Verliebte. Wer mit wem. Posen. Aber da war noch mehr.

Für drei Sekunden mussten die Fotografierten die Stopptaste drücken, anhalten, sogar den Atem. Darin liegt eine Entsprechung zu dem, was ganz Kuba auszeichnet. Denn Kuba war über Jahrzehnte politisch, sozial und kulturell abgekoppelt. Ein ganzes Volk lebte – und lebt immer noch – als Subkultur. Die Zeit: eingefroren. Und genau das passiert auch in den Momenten-Aufnahmen der Minuteros. So stehen die Bilder nicht nur für sich, sondern für ein ganzes Volk. Eine Doppelung eingefrorener Zeit. Die Fotos der Capitol-Minuteros sind ein Brühwürfel kubanischer Realität. Das macht sie so kostbar.
Und noch etwas stellen die Fotos zur Schau. Etwas, das vor diesem Hintergrund umso unerwarteter erscheint. Etwas, das man erst nach einer Weile zu definieren weiß. Etwas, das man Würde nennt. Wenn im deutschen Grundgesetzt steht, sie sei unantastbar, so müssen wir doch manchmal lange nach ihr suchen. Ausgerechnet in Kuba scheint sie es noch zu geben, ausgerechnet in der eingefrorenen Zeit.

Woher kommt die Würde? Vielleicht entspringt sie dem festen Wille, sich für das Foto von seiner besten Seite zu zeigen, für die Nachwelt, für eine Zeit, nach dieser hier.
Vielleicht, weil es nur dieses Foto gibt, nur diese Chance. Nicht Tausende, wie in unserer digitalen anderen Welt. Hier kann man morgen noch würdevoll, sein, ober nächstes Jahr. In Kuba habend die Menschen nur diesen Moment. Das macht ihn so wertvoll. Und würdevoll.
Sich aufrichten, ein Mensch sein, sich von seiner besten Seite zeigen – auch diese Möglichkeit strahlen die Bilder aus. Das macht sie magisch.

Und Magie stellt sich auch beim Betrachter an. Durch die „Bilder eines Mythos“ zappt er sich nicht im Vorübergehen. Er schaut sie an. Er hält selbst inne. Sie erinnern ihn an etwas. Für mindestens drei Sekunden. Eine ziemlich lange Zeit…


Cornelius Groenewold: „Eine andere Zeit in einer anderen Welt“

„Ich will etwas über die Geschichte Kuba erzählen!“, so der Wunsch des 49-jährigen ehemaligen Fotografen, der inzwischen die Immobiliengeschäfte seines Großvaters Kurt Groenewold, den ehemaligen RAF-„Linksanwalt“, wie er ihn nennt, weiterführt. Porträts von Kubanern sammeln, archivieren, Immobilien vertreiben – eine auf den ersten Blick skurrile Mischung. Cornelius Groenewold: „Es geht mir darum, Werte zu erhalten. Ob es Immobilien sind, oder Bilder. Das sind Schätze, um die sich jemand kümmern muss, damit sie nicht verschütt gehen. Ich sehe das als eine riesige Verantwortung an, manchmal auch als eine Last… aber es scheint meine Berufung zu sein.“
Warum ausgerechnet Kuba?
„Kuba ist etwas ganz Besonderes. Es fühlt sich an wie  eine andere Zeit in einer anderen Welt.“ erzählt Groenewold. „Mich interessiert, was das mit den Menschen macht. Das Land war jahrzehntelang politisch abgekoppelt. Dieser Zustand wirkt sich natürlich auch auf den Alltag aus. Die Kubaner waren in den letzten Jahrzehnten aufgrund der wirtschaftlichen Lage immer abhängig voneinander. Das hat in meinen Augen viele Vorteile. Kubaner helfen einander. Sie haben zwar nicht viel – aber sie haben sich und sie haben eine Menge Zeit.“
Was können wir von den Kubanern lernen?
„Wenn dich hier in Deutschland jemand auf der Straße anspricht, dann findest du das sehr seltsam. In Kuba ist das völlig normal. Ich mag die Menschlichkeit und die Wärme. Das alles sehe ich auch in den ‚Gesichtern eines Mythos’. Ich glaube, deshalb möchte ich die Bilder so vielen Menschen wie möglich zeigen. Wir können Grundwerte von den Kubanern lernen, die bei uns verloren gegangen sind.“

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